Oft bin ich beim Schreiben blockiert, stehe an, drehe mich im Kreis – und will schon alles wieder verwerfen, weil die Idee doch nichts taugt. Dann frage ich Kollegen an, ob sie eine Zeit lang mit mir mitdenken möchten. Es ist im Dialog einfacher, Ideen zu klären. Wir können uns Ideen hin und her erzählen und weiterspinnen. Natürlich sind das keine privaten Gefallen, sondern professionelle Leistungen, die entlohnt werden.
Diesmal frage ich Dominik Flaschka, Regisseur, Autor und Direktor am Theater am Hechtplatz in Zürich, an. Auch er hat viel Erfahrung im Schreiben und Inszenieren eigener Stücke, vor allem im Bereich Musiktheater / Musicals – es gibt keine treffende Bezeichnung. Wir hatten ein paar Jahre davor zusammen «Drei Bräute für ein Halleluja» mit drei Schauspielerinnen / Sängerinnen und vier Musikern kreiert, inszeniert und gespielt. Dominik und ich treffen uns für vier Tage und arbeiten ungefähr sechs Stunden täglich. Länger, das ist meine Erfahrung, geht nicht, denn dann dreht der Kopf nur noch leer.
Wir fangen irgendwo an und versuchen, uns Szenen vorzustellen. Wir sind in einem Wohnzimmer, und vor uns hängt das Segel. Hier ein paar Stichworte aus meinen Heften: Wie könnte sie sterben? Wie könnte das Stück anfangen: Man könnte über Audio eine Unfallserie hören: Bremsen, Kreischen, Sägen, Fallen, Crash, Wasser, Sturmwelle, Feuer, Ambulanz, Erdbeben, Tiger, Lawine, einbrechendes Eis … Hanna kommt mit rauchendem Hintern auf die Bühne. Sie ist gerade noch mal davongekommen. Atmet tief durch, keucht, beruhigt sich ein bisschen.
Hinten baut sich unheimlich der Tod / das Segel auf und greift nach ihr. Hanna sieht das nicht, schaut rechts und links, zwischen ihren Beinen hindurch. Das Segel wirft sich auf sie und wickelt sie ein. Sie wird zur Mumie. Hanna wehrt sich, streckt die Hand raus: «Stopp … eine letzte Zigarette …».
Fallstricke
Manchmal hilft auch zu klären, was nicht geht: Es gibt Ideen und Bilder, die bei ihrer Erfindung auf der Bühne genial waren. Dann wurden sie kopiert. Und wieder und wieder kopiert. Sie sind verbraucht und daher verboten. Jedes Bild muss überraschen. Ausser es gibt zwingende Gründe und die Geschichte erfordert genau dieses bekannte Bild. Dann ist es sogar erlaubt, jemandem eine Sahnetorte ins Gesicht zu drücken.
Hier einige Beispiele zu oft gebrauchter Bilder:
- Das Bett, das zum Schiff wird, das Betttuch zum Segel
- Der Pirat mit Augenbinde
- Hinter halbhoher Wand fiktive Treppen rauf- und runtergehen
- Sich an unsichtbaren Wänden vorantasten
- Die Künstler kommen nicht, der Hauswart spielt das Stück selbst
- Der Clown stolpert über ein Musikinstrument und weiss nicht, was es ist
- Im Kostümverleih
- Ich träume alles, und dann wache ich auf
- Sein oder nicht sein – mit oder ohne Totenkopf
- Musik: «Also sprach Zarathustra» von Richard Strauss
Erstes verlockendes Bild: Eine Seefahrerin segelt auf ihrem Bett in fremde Welten, wacht am Schluss auf – alles war nur ein Traum. In unserem Projekt würde sie über den Jordan, also in den Tod segeln und nicht mehr zurückkönnen. Es ist das Einfachste, aber schon zu oft gesehen. Kopien sind langweilig.
Auf der anderen Seite des Segels ist die Person, die es hergestellt hat: die Schneiderin. Nur scheint mir, dass dieser Beruf zu wenige und zu kleine Aktionen ermöglicht: Sie sitzt im Schneidersitz auf dem Tisch und näht. Sie kann sich in den Finger stechen. Es sind Aktionen, die mehr nach innen gehen, ohne grosse Gestik. Nicht wie ein Holzfäller, der einen Baum umhauen muss. Oder eine Kapitänin, die durch einen Sturm segelt.
Aber da sich bei mir, in meinen bisherigen Stücken, ohne dass ich es je geplant hätte, eine Reihe von Berufen herausgebildet hatte – Wäscherin, Hexe, Sekretärin, Schaustellerin, Souffleuse –, bleibe ich dran. Die Berufe ermöglichen das Bauen von kleinen Welten. Jeder kennt sie. Sie rufen Kindheitserinnerungen wach und sind emotional geladen. Ich kann zitieren und Anspielungen machen. Ich bin nicht im leeren Raum. Ich habe Objekte zum Spielen. Ich habe Handlungen und Abläufe. Ich muss nichts erklären.
Und auch: Ich habe noch nie eine Schneiderin auf der Bühne gesehen. Es gibt so viel «weibliches Leben», das noch nie von der Muse geküsst wurde.
Dominik und ich entscheiden uns für die Schneiderin und suchen nach zu ihr passenden Metaphern, Handlungen, Werkzeugen, Schwierigkeiten …
- «Der Tod einer Schneiderin». Sie näht an einem Hochzeitsschleier und will ihn fertigbekommen, bevor sie stirbt. Möglicher Schluss: Hochzeit/Vermählung mit dem Tod.
- Die Schneiderin schwitzt, trocknet sich das Gesicht mit dem Tuch ab. Ihr Gesicht bleibt darauf sichtbar (Grabtuch von Jesus).
- Mögliche Requisiten: Turbonähmaschine mit Dampfantritt; ändert Rhythmus, Trauer, Marsch, aufklappbar, mit Fussantrieb, grosses Rad (Steuerrad); Bügelbrett: wird als Schiff, Surfbrett, Himmelsleiter benutzt; sehr grosse Schere, grosse Nadeln (Voodoo), Nadelkissen, Fadenspulen, Kreide, Massband, Schnittmuster.
- Schneiderpuppe: etwas überdimensioniert, voller technischer Überraschungen, sie kann darauf springen, klettern, hocken, drehbar und biegbar, auf Rädern.
- Schneiderpuppe wird «Brunhilde» – kann eigenen Kopf und fremde Köpfe auf diese Puppe setzen; hat ein Gegenüber. Verdoppelung von mir. Puppe wird Böögg …
Viele lose Fäden. Alles noch durcheinander. Es ist Jagen und Sammeln.
Ich bringe alles nach Hause, lege es aus, ordne, verwerfe, fasse zusammen – und das wird das versprochene Grundkonzept: Wir haben eine Figur, einen Beruf, einen Ort, eine Situation, mögliche Katastrophen und viele Handlungen.
Jetzt muss ausprobiert werden. Gespielt. Improvisiert.