Sind die Bühnenteile gebaut, muss ich lernen, damit zu spielen. Ich muss sie «in die Hand bekommen». Vieles muss angepasst und verändert werden. Einiges fällt raus, und einiges muss neu erfunden werden.
Jetzt ist Arbeit am Detail angesagt: Um ein Clownstück oder überhaupt komische Szenen zu schreiben, braucht es in erster Linie eine gute, grosse Idee. Und dann braucht es viele gute kleine Ideen. Das Stück lebt von einem extremen und existenziellen Konflikt, die Zuschauer müssen mitbangen und miteifern – und darüber lachen können. Das ist der grosse Bogen. Er muss ständig im Blick bleiben. Dann gibt es die kleinen Schritte. Die konkrete Handlung. Spielschritt um Spielschritt. Was mache ich? Was macht eine Schneiderin, eben weil sie Schneiderin ist? Was passiert auf der Bühne?
Als Clown suche ich tragische Szenen, die ich komisch erzähle. Der Clown ist der griechischen Tragödie näher als dem Schwank oder der Komödie. Doch je tragischer eine Szene, desto komischer muss sie erzählt werden.
Das ist der Rohbau, das Fundament, das Dach. Jetzt geht es um den Innenausbau. Das Sofa. Die Kuckucksuhr. Die Tapeten. Und die Probleme damit: Wir brauchen Gags.
Übrigens spannend, woher das Wort «Gag» stammt: «Gag, m., witziger, wirkungsvoller Einfall» … to gag: «knebeln, (ver)stopfen, erwürgen», offenbar lautnachahmend für das Röcheln eines Erstickenden.
Die Tücke des Objekts – eine alte Redensart. Der vergebliche Kampf gegen sich sperrende Dinge als Symbol des vergeblichen Lebenskampfs. Die Souveränität entlarvt sich als Schein, harmlose Dinge werden zu bösartigen Gegnern. Das ewige Scheitern der Clowns macht sie erst aus.
Ein Gag ist dann gut, wenn er unbemerkt daherkommt. Erwarten die Zuschauer ihn bereits, muss er, da langweilig, weggelassen werden. Die Überraschung ist das Zentrale am Gag.
«Witz» war ursprünglich die Bezeichnung für Gewitztheit, Schlauheit, schnelle Kombinierfähigkeit, Fähigkeit zu überraschenden Lösungen. In diesem alten Sinn muss Witz gefunden werden. In der Sprache ist es die Pointe. In der Bewegung, im Körpertheater ist es der Gag. Wenn ich nicht spreche, muss ich Handlungen finden, die Probleme schaffen, deren Lösungen witzig daherkommen. Stolpern ist die bekannteste Handlung. Umfallen, sich den Kopf stossen etc.
Ich fülle den Probesaal mit allen möglichen Objekten und Requisiten. Selbstverständlich müssen sie eine Verbindung zur Schneiderin haben. Eine Dreschmaschine geht nicht, auch wenn sie vielleicht lustig wäre.
Ich lasse keine Sperrgutabfuhr aus, kann an keiner Brockenstube, keinem Flohmarkt vorbeigehen, ohne dass ich nicht durch die verstaubten Ecken stöbere. Seit ich von der Schneiderin weiss, kaufe ich alles für ihr Atelier: Fadenspulen, Blechkannen, Scheren, Nähkästchen. Vom vielen, was ich ansammle, wird schliesslich wenig gebraucht. Aber ich kann irgendwo anfangen, mich irgendwohin tasten. Wir nehmen alles mehrfach in die Hand und probieren mögliche Probleme aus. Und, ich muss hier deutlich sagen: Das ist überhaupt nicht lustig. Stellen Sie sich mal auf eine Bockleiter, und versuchen Sie, damit lustige Dinge zu tun: Sie tun sich vor allem weh.
Für mich ist es sehr wichtig, bei dieser Suche eine zweite Person dabeizuhaben. Der Blick von aussen sieht anders. Wir nehmen beide die Dinge in die Hände und probieren sehr technisch aus, was damit gemacht werden könnte. Langsam, quasi in Zeitlupe. Wir sammeln Möglichkeiten. Dann reihen wir Sequenzen aneinander.
Mit Ferruccio Cainero, der Autor, Regisseur und Erzähler ist, habe ich jemanden, der wie kein anderer den Gag aus jedem Gegenstand herauskitzelt. Zudem ist Ferruccio der Miterfinder der Clownfigur Hanna und hat in den ersten vier Stücken Regie geführt.
Wir arbeiten eine Woche lang zusammen.
Ich miete einen Raum in einer verlassenen Textilfabrik in Camedo. Kai Leclerc hat diese Tessiner Fabrik gekauft und sie als «Kaiopoli» in einen riesigen Proberaum umgebaut. Im Lager liegen noch grosse Stoffballen herum. Uns ist sofort klar, dass diese Stoffballen komisches Potenzial haben. Aber sie sind zu schwer. Ich kann sie allein kaum hochheben, geschweige denn sie auf meine Füsse fallen lassen. Ich präpariere also Stoffballen: Um das innere Kartonrohr wickle ich Stopfwatte, und nur die äussersten Schichten werden mit Stoff überzogen, auch die beiden Enden. So entsteht ein Stoffballen, mit dem ich spielen kann und der einigermassen stabil ist. Und jetzt proben wir von morgens bis abends, was mit dieser Rolle alles geschehen könnte. Alle Handbewegungen müssen präzise gearbeitet werden, sonst passieren Unfälle. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich direkt von den Proben im Notfall lande.
Spielideen mit der Stoffrolle sind:
- Die Rolle ist zu schwer, ich bringe sie nicht vom Gestell – ich binde mir ein schwarzes Schneidermessband um die Taille –, mit dem «schwarzen Gürtel» klappt es.
- Um die Rolle ganz herauszuschieben, lehne ich mich am Tisch an und nehme sie zwischen die Beine. Auf halber Höhe sieht das plötzlich obszön aus. Da ich aber die Rolle mit beiden Händen halte, bin ich blockiert. Ich ärgere mich über das Lachen des Publikums. Ich halte die Rolle vorne am Rohr, drehe einen Fuss auf die andere Seite. Die Rolle fällt mir auf den anderen Fuss.
- Ich ziehe so fest an der Rolle, dass sie sich plötzlich mit grossem Schub bewegt und ich damit fast ins Publikum falle. Ich beruhige den erschrockenen Zuschauer.
- Die Rolle steht neben mir, ich bin stolz, ich habs geschafft. Die Rolle fällt um und ich auf sie.
- Beide Beine über der Rolle, versuche ich, sie mit Kraft zu heben. Stummer Schmerz zwischen den Beinen.
- Ich messe ab und male mit Kreide Kreuze auf den Boden. Ich hebe die Rolle, falle auf den Rücken, nehme die Rolle zwischen die Beine und schmeisse sie rückwärts auf den Tisch.
- Ich lege mich auf die Rolle, drehe sie hin und her und massiere mir so lustvoll den Rücken.
Dann versuchen wir Gags mit Nadeln. Ich habe mir die grösstmöglichen Nadeln gekauft und vom Schmied noch grössere anfertigen lassen. Für die Bühne, und auch für unsere Inspiration, ist es oft hilfreich, alle Requisiten grösser zu machen: Stoffballen, Nähkästchen, Schere, Nadel.
Die Schneiderin schläft vor Müdigkeit ein, ihr Kinn sinkt langsam zur Brust und ihre Nase landet in der Nadel, die sie selbst in der Hand hält. Sie schreit auf. Der Faden gerät aus der Nadel. Sie hat Probleme mit dem Einfädeln, denn durch die Konzentration auf das Nadelöhr beginnt sie zu schielen – und die Augen «rasten» ein.
Gut funktionierende Gags werden zu Szenen ausgebaut. Dazu braucht es ein Gespür für Rhythmus. Und Variationen: Jede Wiederholung muss etwas Neues haben – und die Schlusslösung muss überraschend sein. Es ist kleinstmögliche Schauspiel- und Regiearbeit.
Die Szenen dauern im Stück nur kurz, kommen leicht und lustig daher, und das Publikum meint, sie seien spontan aus dem Moment heraus entstanden.
Klar ist: Sie funktionieren, weil es Minigeschichten sind. Jeder Gag ist eine kleine, abgerundete Geschichte mit Anfang, Problem und Lösung. Meist zeige ich ein Problem zwei Mal, ohne eine funktionierende Lösung, und beim dritten Mal finde ich eine überraschende Lösung, die niemand erwartet.
Ich fasse zusammen: Wir haben eine grosse Idee (Stückidee), viele kleine Ideen (Szenen) und unzählige Kleinstideen (Gags). Sie bedingen einander und hängen alle zusammen. Die Gags müssen immer die Stückidee mittragen. Sie sind nie Selbstzweck. Und die Stückidee wird durch die Gags transportiert.
Ungefähr so, wie es sich mit dem Meer und den Tropfen verhält …